Ursachen: Probleme in Mathe

Der schulische Erfolg ist nicht nur eine Frage der Intelligenz oder der Fähigkeit des Lehrers, den Stoff zu vermitteln oder der Motivation. Er ist in der Regel eine Frage der Lernmethodik. 

Ursachen für schlechte mathematische Leistungen können sein:

(1) Unzureichende geistige und körperliche Bereitschaft zum Lernen

Manche Kinder sind unkonzentriert und uninteressiert und daher auch faul. Sie verstehen dann im Unterricht oft nicht die Hinführung zu einer Methode, können den Lösungsweg nicht nachvollziehen und sind daher im Anschluss auch nicht in der Lage, diesen bei anderen Aufgaben alleine durchführen.

(2) Zu wenig Basiswissen – große Lücken

Der Grund für Versagen kann auch darin zu suchen sein, dass große Lücken vorhanden sind, so dass die Basis für das Verständnis fehlt. Wer Bruchrechnen, das Lösen von Gleichungen, den Umgang mit Wurzeln und Potenzen nicht (mehr) beherrscht, der kann in der Oberstufe auch keine komplexeren Aufgaben lösen. Man scheitert trotz neuem Wissen an diesen Grundlagen.

(3) Die Abstraktionsfähigkeit ist noch nicht gut entwickelt

Die Anwendung einer Methode erfordert ein ausgeprägtes Abstraktionsvermögen. Wenn ein Kind an einem Beispiel eine Methode erlernt, sollte es in der Lage sein, eine Transferleistung zu erbringen. Das bedeutet, es muss diese Methode vom Beispiel lösen können (Abstraktion , den Hintergrund der Aufgabe, die Methode alleine erfassen) und auf das neue Beispiel übertragen können (Transfer). Wenn ein Kind die eine Aufgabe lösen kann, bei einer ähnlichen aber anders aussehenden Aufgabe aber nicht weiß, wie es vorgehen soll, dann liegt es meist daran, dass der Schüler nicht erkennt, dass beide Aufgaben ein ähnliches Grundmuster besitzen und dass man die Lösungsschritte von der einen auf die andere Aufgabe übertragen kann. Dies setzt natürlich die Fähigkeit voraus, die Aufgaben analysieren zu können, eben um herauszufinden, worum es geht: Die Abstraktionsfähigkeit ist gefragt.
Was ich hier ganz grob geschildert habe, ist ein Entwicklungsprozess, den man nur mit großem Aufwand beschleunigen kann. Dazu später mehr. Ich habe da immer Schüler in Erinnerung, die sprachlich tolle Leistungen abliefern, aber bei vielen Aufgaben im Bruchrechnen der Klasse 6 alles durcheinander bringen und ähnliche Aufgaben gar nicht als verwandt erkennen. Da weiß man plötzlich nicht mehr, welche Methode anzuwenden ist und die Note geht nach unten – in den Tränenbereich. Da helfen oftmals gut gemeinte Nachhilfestunden wenig (sie arten oft zu purem Drill aus, bis man so viel gesehen und gerechnet hat, dass man sich einfach an ähnliches erinnern kann). Aber schon mit einer kleinen Anregung bringe ich solche Kinder auf dem richtigen Lösungsweg, den sie dann einigermaßen fehlerfrei durchziehen können. Alleine gelassen fehlt aber vor dem Lösungsansatz der zündende Funke. Man sieht:
Diese gedanklichen Abläufe setzen Abstraktionsvermögen voraus, logisches Denken, Vergleichen mit anderen Aufgaben, Erkennen der Zusammenhänge – Fähigkeiten, die reifen müssen, Zeit brauchen, Eigene Erfahrungen!

(4) „Mein Kind hat eine Rechenschwäche“

Die immer moderner werdende Diskalkulie, also die „krankhafte“ Rechenschwäche halte ich nach meinen vielen Jahren der Erfahrung für nicht bedeutend. Sie mag in unteren Klassen gewisse Rechenprobleme bringen, so wie ein Legastheniker Rechtschreibschwächen hat. Dieser kann möglicherweise dennoch inhaltlich tolle Aufsätze schreiben! Und genau so kann man Rechenwege in komplexen Aufgaben auch mit einer Rechenschwäche nachvollziehen. Sicher mit Abstrichen, aber nicht so dass man in Mathematik zum, Versager werden muss.

(5) Der Einfluss des Lehrers

Als Schulleiter mit über 30 Jahren Dienst- und Internatserfahrung hörte ich in Elterngesprächen immer wieder, dass sie die Schuld beim Lehrer suchen. Diese (subjektive) Schuldzuweisung muss man sicher relativieren. Ein Erziehungsprozess ist immer im Kontext zum Gesamtumfeld zu betrachten, in dem ein Kind lernt.
In der Regel haben öffentliche Schulen große Klassen. Da hat es sogar der engagierte Lehrer schwer, sich ausreichend um jeden zu kümmern, ja deutlicher gesagt – es geht oft gar nicht mehr. Wenn Disziplinprobleme dazu kommen, unwillige und unkonzentrierte Kinder in der Klasse sitzen, wie soll der Pädagoge dann jedem so weiterhelfen, wie er es benötigt ? Die Hilfe kann nur punktuell geschehen und benachteiligt schwache oder zurückhaltende Schüler. Nicht selten geht der stille Arbeiter unter.
Es gibt an öffentlichen Schulen auch hervorragende Pädagogen, die viel erreichen können und Schüler in der Mathematik begeistern, und es gibt sicher auch Lehrer, die mit einem Minimum an Einsatz arbeiten, vielleicht frustriert durch die Lern- und Arbeitsbedingungen, die öffentliche Schulen (heute) aufweisen. Andere wieder berufen sich vielleicht auf das Leistungsprinzip und denken, wer die Anforderungen nicht erfüllt, soll wiederholen oder hat auf dem Gymnasium nichts verloren. Das Spektrum ist breit und die Auswirkungen daher unterschiedlich. Hier fehlt eine intensive Lehrerbeobachtung und -führung mit Qualitätssicherung. Ich weiß, dass ich mich damit unbeliebt mache, denn einem Lehrer geht die pädagogische Freiheit über alles. Kritiker möchte ich dann einmal zu Vorstellungsgesprächen Leid geplagter Eltern und Kinder einladen und ihnen diese Kinder ein Jahr später wieder vorstellen. Dann erkennt man was manche pädagogischen Grundhaltungen so anrichten können.
Sicher ist es jedoch richtig – ohne eine Schuld zuweisen zu wollen, dass für viele Kinder das heutige schulische Umfeld ungünstig ist, weil die kleinen Lerngruppen fehlen und die individuelle pädagogische und menschliche Zuwendung einfach zu kurz kommt.

(6) Unzureichende Lernmethodik von Schülern

Nun will ich zwischen verschiedenen Schülertypen differenzieren.
Beginnen wir mit dem „schwachen“  Schüler, der sagen wir in der Mittelstufe im Kreise seiner vielen Freunde mit Hobbies oder Computerspielen deutlich ausgelastet ist. Für ihn bedeutet Hausaufgaben machen das Erledigen der schriftlichen Aufgaben, oftmals mit minimalem Zeitaufwand. Das Ergebnis stellt den Lehrer selten zufrieden, weil dabei oftmals geschlampt worden ist, zu oberflächlich argumentiert wurde oder der Sinn der Aufgabe gar nicht erfasst worden ist. Viele Aufgaben blieben unerledigt, „ich wusste nicht, wie es geht“.
Dann gibt es die frühen Überflieger, die in der Grundschule ohne lernen zu müssen, alles können und vielleicht schon als Hochbegabte vor der Einschulung lesen, schreiben und rechnen können. Solche Kinder müssen nicht lernen, sie nehmen auf und setzen um. Beneidenswert ? Durchaus nicht nur ! Solche Kinder werden von vielen Lehrern damit gestraft, dass sie ewig ruhig sein sollen, denn durch ihr Wissen nehmen sie dem Unterricht die Pointen, verraten Ziele, welche die anderen Kinder erst erarbeiten sollen, stehlen dem Lehrer schlicht die Schau. Es ist pädagogisch auch fatal, wenn einer das Ergebnis einfach herausbrüllt und ein sorgsam geplanter Lernprozess dadurch einstürzt. Nur – man muss damit umgehen können und begabtere Kinder mit anderen Aufgaben betreuen, die sie herausfordern und beschäftigen. Bald zeigen sich die Folgen bei solchen Überfliegern. So ab Klasse 5 und 6 kommen sie in eine Phase, in der auch sie lernen müssen, weil ihr Vorsprung aufgezehrt ist und weil ihre Art des Aufnehmens nicht mehr ausreicht. Mit zunehmender Abstraktion und Stofffülle erfahren diese Kinder, dass sie eigentlich nicht richtig lernen können. Es gab selten die Notwendigkeit, so lernen zu müssen wie die anderen, sie wissen gar nicht, wie dies geht. Und so beginnen sie ein uneffizientes Arbeiten. Dies ist ein Grund dafür, warum viele Hochbegabte plötzlich im Gymnasium scheitern und sogar nicht mehr versetzt werden. Wenn die Eltern darauf zu spät reagieren, kann oft sogar eine Internatsschule mit individueller Betreuung nicht mehr helfen, weil die Psyche unverhältnismäßig gestört ist. Der Schüler zeigt dann Abwehrverhalten, Aggressivität und Lernblockade. Leider werden solche Muster an öffentlichen Schulen zu spät oder oft gar nicht erkannt. Dies kann so weit gehen, dass Lehrer heute immer noch meinen, dass ein Hochbegabter eigentlich immer nur „Einsen“ schreiben müsste. Wenn nicht – liegt auch keine Hochbegabung vor. Basta ! So einfach kann man es sich machen.
Doch nun zum Lernverhalten des Normalschülers. Wie oben geschildert beschränken sich Schüler meist nur auf die Anfertigung schriftlicher Aufgaben. Folgendes Idealmuster beherrschen nur wenige (Spitzen-) Schüler: Idealerweise sollte ein Schüler vor dem Erledigen der schriftlichen Arbeiten einen Blick in Heft und Buch werfen. Im Unterricht wird Stoff erarbeitet und werden Musteraufgaben gelöst. Sie sollte man nochmals durchdenken um fit für die zu erledigenden Aufgaben zu sein. Dann wird es viel seltener vorkommen, dass man seine Hausaufgaben nicht machen kann – und man ist besser für die nächste Stunde vorbereitet um dort wiederum erfolgreicher mitarbeiten zu können. Dieses Wiederholen sollte als nicht-schriftliche Aufgabe eigentlich für die meisten Fächer stattfinden. Sichern der Ergebnisse und Vorbereitung der nächsten Unterrichtsstunde – das sind die Erfolgsgeheimnisse. Spitzenschüler haben ein so hohes Niveau, dass dies in wenigen Minuten erledigt ist, oder schon im Unterricht so weit passiert, dass sie spielend dem weiteren Verlauf folgen können und alles abrufbereit parat haben! Haben Schüler Probleme, sollte sie mehr tun, nämlich zusätzliches Training einplanen um Lücken zu schließen und Methoden nachzulernen.
Doch was geschieht, um die oben unterentwickelte Abstraktionsfähigkeit zu forcieren ?
Was sollte ein Schüler tun, um im Methodenverständnis usw. weiter zu kommen ? 
Hier liegen oft die eigentlich zu bekämpfenden Ursachen von Schulproblemen.